Freitag, 4. Januar 2008

Imperialistisches Märchen

Es war einmal eine Königin, die hatte von ihrem Vater einen großen Namen und ein großes Reich geerbt. Ihr Vater, der alte König, hatte zwar in seinem Leben nicht alles erreicht, was er sich als junger Prinz erträumt hatte. Aber es war ihm gelungen, mit seinen Freunden fremde Besatzer aus seinem Land zu vertreiben und es von wirtschaftlicher und politischer Neubesetzung frei zu halten. Das war um so bemerkenswerter, als die Welt seiner Zeit von dem Konflikt zweier Ideologien, dem „Kalten Krieg“, geprägt wurde. Nur wenige Herrscher verstanden es wie der alte König, mit Herrschern beider Ideologien Freundschaft zu halten, ohne sich in deren Konflikt hinein ziehen zu lassen.


All dies erbte nun seine Tochter, die Königin – und einen Haufen Probleme. Denn zu den Träumen, die ihr Vater nicht hatte realisieren können, gehörte eine gerechte Verteilung des Reichtums im Land, und als es in einem Jahr eine Dürre gab, drohte den Bauern zweier Provinzen der Hungertod. Die junge Königin beschloss, dass ihr Land ausländische Hilfe brauchte, ausländische Investitionen. Sie machte sich daher auf, das Imperium am Ende der Welt zu besuchen. Sie wollte den dortigen Herrscher um Hilfe bitten.


Das Imperium am Ende der Welt hatte zu jener Zeit von einen Herrscher namens Johnson. Dieser war kein besonders fähiger Herrscher und sein noch junges Reich wurde nur von dem Nimbus seines Regierungssitzes, der Reichsfahne und dem „Kalten Krieg“ zusammen gehalten. Aber er wusste, wann er am längeren Hebel saß. Und so versprach er der Königin zwar Weizen und andere Hilfeleistungen - presste ihr aber als Gegenleistung zahlreiche Zugeständnisse ab. Vor allen Dingen verlangte er von ihr, dass sie die Wirtschaft ihres Reiches für Firmen seines Landes öffnen solle. Darüber hinaus wollte er, dass sie den Krieg, den sein Reich gerade gegen einen Zwergstaat im Osten führte, unterstützte. Die Königin lächelte mit ihm zusammen in die Kameras – und sagte zu.


Als sie aber in ihr Reich zurück gekehrt war, machten ihr ihre Berater schwere Vorwürfe. Sie hätte die Wirtschaft ihres Land erneut den Fremden ausgeliefert, sagten sie. Sie sei von der Neutralitäts-Politik ihres Vaters abgerückt, indem sie den Krieg des Imperiums gegen den Zwergstaat im Osten nicht rügte, sagten sie. Die Königin war verletzt und versuchte zunächst, ihr Handeln zu verteidigen. Aber sie war noch nicht so lange Königin, dass sie glaubte, unfehlbar zu sein. So ließ sie sich schließlich überzeugen; und als sie auf Besuch in einem benachbarten Großreich war, unterzeichnete sie zusammen mit dem dortigen König eine Verurteilung des Krieges gegen den Zwergstaat im Osten.


Der Herrscher des Imperiums am Ende der Welt war darüber sehr erbost. Obwohl sein Botschafter im Reich der Königin ihm abriet, gab er gleich den Auftrag, die Hilfslieferungen zu drosseln. Dies aber bestätigte die Berater der Königin nur in dem, was sie bereits vermutet hatten: Dass das Imperium am Ende der Welt nur dann Hilfe gewährt, wenn es dafür viel mehr bekommt.


Der Botschafter des Imperiums aber sollte das sozusagen aus erster Hand erfahren. Als er einen hohen Imperiums-Beamten darauf hinwies, dass die Königin in ihrer Verurteilung des Krieges nur das wiederholt hatte, was bereits der oberste Guru in Rom sowie der Sprecher der Völkergemeinschaft erklärt hatten, antwortete man ihm zynisch, dass der Guru und der Sprecher schließlich „unseren Weizen nicht brauchen“.



Quelle des Sachverhalts: Die Nehrus und die Gandhis. Eine indische Dynastie



P.S. Die Königin ist nicht zurück gerudert.


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