Dienstag, 29. April 2008

Altered Carbon

Um es gleich zu Beginn zu sagen: Richard Morgan's „Unsterblichkeitsprogramm“ (Originaltitel: Altered Carbon) ist gute Urlaubslektüre. Wenn Sie einen temporeich geschriebenen, spannenden Science Fiction-Krimi lesen wollen: Kaufen Sie das Buch und lassen Sie sich unterhalten.


Zur Story: Takeshi Kovacs, Ex-Mitglied des Envoy Corps, der kolonialen Einsatztruppe der UN, wird in einen neuen Körper gesleevt. Wir befinden uns in einem unbestimmten Jahr in der Zukunft. Wer über das nötige Kleingeld verfügt, kann sein Bewusstsein in einer Datenbank speichern und es nach seinem Tod in einen neuen Körper transferieren (sleeven) lassen. Umgekehrt kann jemand, der ein Verbrechen begangen hat, zu „Einlagerung“ verurteilt werden, d.h. zur Trennung seines Bewusstseins vom Körper und langjähriger Zwangs-Speicherung. Etwas in dieser Art ist Kovacs passiert, und er verdankt es jetzt nur einer Anforderung des reichen Laurens Bancroft, dass er wieder in einem Körper herum laufen darf. Bancroft ist der Überzeugung, dass man versucht hat, ihn zu ermorden, und erteilt Kovacs den Auftrag, den Fall zu untersuchen.


Von diesem Ansatz ausgehend entfaltet sich eine klassische Action-Krimi-Story – mit dem kleinen Unterschied, dass sie in einer Zeit spielt, in der der Tod kein Beinbruch mehr ist, sondern nur noch ein Intervall zwischen zwei Leben. Das geht so weit, dass die Hauptfigur Menschen, die sich nicht speichern und wieder erwecken lassen wollen, für Spinner hält. Die Zukunftsprojektion ist angesichts der Forschungsgelder, die in Unsterblichkeitsprojekte gesteckt werden, durchaus plausibel. Und der Autor ist geschickt genug, ein allzu genaues Eingehen auf technische Fragen zu vermeiden. Auf diese Weise kann sein Buch nicht so leicht von der technischen Entwicklung Lügen gestraft oder beiseite gewischt werden. Bleibt noch zu ergänzen, dass die Story stringent und trotz ihrer 600 Seiten ohne (für mich wahrnehmbare) Längen erzählt ist.


Für ein „Mehr als außergewöhnlich! Richard Morgan definiert die Science Fiction des neuen Jahrtausends.“ wie in der auf dem Umschlag zitierten Kritik des „Guardian“ reicht es meiner Ansicht nach allerdings nicht. Das hat vor allem mit den Entscheidungen zu tun, die Morgan in Hinblick auf die Hauptfigur Kovacs getroffen hat. Und mit der Krimi-Story.


Einen psychologisch und „Hardware“-technisch aufgebrezelten Elitesoldaten zur Hauptfigur zu machen und die Story aus seiner Perspektive zu erzählen, hat dem Autor nicht viel Freiraum gelassen, eine komplexe Geschichte zu erzählen. Darüber hinaus hat er den Helden nicht gerade zu einem Denker gemacht. Die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Gegebenheiten um ihn herum werden zwar oberflächlich erwähnt, aber er nimmt sie als gegeben hin, ohne weiter darüber nachzudenken oder sie zu hinterfragen. Dazu bleibt ihm zum einen auch wenig Zeit, denn er wird von allen Seiten verfolgt. Zum anderen reagiert er auf das, womit er gerade konfrontiert ist, weitgehend instinktiv und ohne über langfristige Konsequenzen nachzudenken: Mit Kampf, Sex oder Flucht.


All dies ist gut für eine action-betonte Story, und diese wird vom Autor auch temporeich geschildert. Aber mit so einem Helden lässt sich wenig mehr als eine ziemlich platte Geschichte erzählen. Und genau das passiert auch. Die Auflösung des Fall ist, gelinde gesagt, enttäuschend. Ich zumindest kann mir nur schwer vorstellen, dass Dergleichen einen mächtigen und reichen Mann in der Zukunft noch unter Druck setzten würde. Darüber hinaus wird die Auflösung als Dialog zwischen der guten und der bösen Hauptfigur präsentiert, in dem noch einmal alles ganz genau erklärt wird. Der Vergleich mit klassischen Krimiautoren drängt sich hier geradezu auf.


Falls Morgan einen solchen Vergleich beabsichtigt hat, hat er sich damit allerdings ins Knie geschossen. In den Krimis z.B. von Raymond Chandler sind die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Bedingungen stets Teil der Story, nicht nur Hintergrundfolie. Dass die handelnden Figuren diesen Bedingungen nicht entrinnen können und wie sie daran scheitern, sie zu ihren Gunsten zu beeinflussen, macht ihre Tragik aus und verleiht den Geschichten Tiefe. Etwas Ähnliches hätte auch Morgan aus seiner Geschichte machen können, umso mehr, als die Nebenfiguren und ihre Motive in vielerlei Hinsicht an Chandler erinnern. Aber davon ist Morgan in dieser Geschichte (noch) weit entfernt.


Fazit: Gute Urlaubsleseware, viel versprechender Autor. Ich warte auf sein nächstes Buch.