Sonntag, 6. Mai 2012

Warum ist Rom eigentlich untergegangen?

 
Ich lese gerade die aktuelle GEO Epoche - und bin ein bisschen enttäuscht, dass die Wissenschaftsjournalisten, die in den ersten Ausgaben dieser Zeitschriftenreihe noch die Mehrzahl der Autoren gestellt haben – und in meinen Augen für die Qualität des Geschriebenen gebürgt haben -, zunehmend durch Reporter ersetzt zu werden scheinen, die nur noch Schulstoff auf Infotainment bürsten. Vielleicht liegt es aber auch am Thema: "Rom" hat mich schon in der Schule sterblich gelangweilt und der Artikel über den Untergang des römischen Reichs, den ich gerade lese, erinnert mich an die Gründe dafür.
Wer oder was war denn überhaupt dieses von Rom beherrschte "Weltreich"? Die meisten seiner Bewohner waren vermutlich Bauern, Viehzüchter oder Fischer. Was sie über die Welt wussten, beschränkte sich auf das, was sie sahen, und was sie von der Welt sehen konnten, endete am Horizont. Nachrichten von jenseits dieser Linie mochten sie durch reisende Händler auf Märkten erreichen, aber was diese erzählten, dürfte für sie genau so märchenhaft gewesen sein wie die Sagen und Legenden, die sie sich in langen Winternächten am Herdfeuer erzählten. Wer in einer fernen Stadt auf einer stiefelförmigen Halbinsel die Herrschaft inne hatte – Senat oder Princeps, Römer oder Nicht-Römer, Kaiser oder Papst -, änderte nichts an ihrem Alltag. Ebenso wenig hatte es einen Einfluss auf ihr Leben, ob einer dieser fernen Herrscher ihre Wiesen, Felder und Flüsse als Teil seines Machtbereichs reklamierte oder nicht. So lange ihnen nicht gerade eine römische Armee an der Haustür vorbei trampelte, wussten und merkten sie nichts davon. Wer oder was war dann aber das römische Reich, das antike Autoren, Wissenschaftler und Inofainment-Texter in so vielen Worten beschworen haben?
Aus meiner Sicht vor allem das Werk einer Propagandamaschinerie. Nichts wurde in Rom höher gehalten als militärische Siege und Eroberungen. Nur, wer dergleichen vorzuweisen hatte, konnte damit rechnen, sich in den Konkurrenzkämpfen der herrschenden Cliquen der Stadt durchzusetzen und einen der begehrten Sitze im Senat zu ergattern, womöglich Konsul oder gar Kaiser zu werden. Was aber militärischer Erfolg war, bestimmten zwei Institutionen: Die Staatskasse und die Jubelschreiberlinge.
In der Staatskasse landete, was eine römische Armee auf ihren Kriegszügen zusammen geraubt hatte. Je mehr Beute seine Soldaten nach Rom zurück brachten, desto höher das Ansehen des Heerführers. Ob die Gebiete, in denen der Raubzug stattgefunden hatte, auch tatsächlich militärisch kontrolliert wurden, spielte dafür oft eine zweitrangige Rolle. Ägypten zum Beispiel wurde zwar als Teil der römischen Einflusssphäre betrachtet, das Land aber weiterhin von den lokalen Herrschern kontrolliert und verwaltet. Ähnlich verhielt es sich mit anderen "Eroberungen" römischer Armeen. Selbst da, wo römische Soldaten stationiert waren, hätte ihre Zahl in der Regel wohl nicht ausgereicht, um sich einem entschiedenen Widerstand der lokalen Bevölkerung gegenüber durchsetzen zu können. Aber der Widerstand fand gar nicht statt – weil sich für die meisten Menschen in den von Rom beanspruchten Gebieten nichts änderte und der Einfluss "römischer Kultur" auf die unmittelbare Umgebung von Kasernen und Verwaltungssitzen römischer Statthalter beschränkt blieb.
Das "römische Reich" fand vor allen Dingen Rom selbst statt. Hier kommen die Jubelschreiberlinge ins Spiel, die als Chronisten und Propagandisten von Heerführer-Politikern die Welt so beschrieben, wie es ihren Auftraggebern nützte. In Einzelfällen übernahmen die Heerführer-Politiker – zum Beispiel Julius Caesar – das sogar selbst. Wobei das Geschriebene ausdrücklich nicht dazu gedacht war, von den Menschen in den Gegenden gelesen zu werden, über die geschrieben wurde. Wenn Caesar über seine militärischen Erfolge und Eroberungen in Gallien schrieb, zielte er damit auf eine römische Leserschaft ab und der Zweck der Übung war, sich damit in Rom politische Vorteile zu verschaffen. Was davon "wahr" war, dürfte in mancherlei Hinsicht der Berichterstattung über US-Kriege auf CNN entsprechen, wo ein Land als "erobert" bezeichnet wird, wenn die US-Armee den Flughafen der Hauptstadt besetzt hat.
So betrachtet, war das römische Reich in erster Linie eine politische und propagandistische Konstruktion in den Konkurrenzkämpfen römischer Politiker bzw. Heerführer. Zwar wurde das Ganze – natürlich – auch von Armeen und Kriegszügen unterstützt. Wie begrenzt ihr Einfluss jedoch war, zeigte sich, als die Grenzen des Reiches ernsthaft und in größerem Ausmaß in Frage gestellt wurden: Gebiete wurden aufgegeben (z.B. in Britannien oder jenseits des Rheins), Raubzüge und Einwanderungswellen mussten hingenommen werden, das als Reichsgebiet beanspruchte Gebiet schrumpfte. Bis "Rom" schließlich auch in der Selbstwahrnehmung seiner Herrscher aufhörte, zu existieren – und damit die Propagandamaschinerie, die das Reich bis dahin wie ein Mantra beschworen hatten. "Rom" ging unter, weil niemand mehr darüber schrieb.
Für die Menschen in den ehemals von Rom beanspruchten Gebieten dürfte damit die Welt nicht untergegangen sein. Der Abzug römischer Truppen hat vermutlich hauptsächlich die Anwohner von Kasernen und städtischen Verwaltungszentren interessiert – eine überschaubare Zahl von Personen, verglichen mit denjenigen, die sofern sie sich nicht den Völker-Wanderungsbewegungen der Zeit anschlossen, wahrscheinlich ihr Leben als Bauern, Viehzüchter und Fischer weiter geführt haben. Der noch immer von der Forschung als "dunkle Jahrhunderte" bezeichnete Zeitraum nach dem "Untergang des römischen Imperiums" ist nur dunkel wegen seines relativen Mangels an Schriftquellen.
"Rom" aber, das ist bis heute eine Konstruktion einer Marketing-, Unterhaltungs- und Infotainmentindustrie, die eine brutale, durch Raub und Mord reich gewordene Ausbeuter- und Sklavenhalter-Gesellschaft zur Hochkultur stilisiert. Sollten wir uns deswegen nicht ein paar Fragen stellen?

Donnerstag, 3. Mai 2012

Einkaufen in Deutschland

ist ein zwiespältiges Vergnügen. Auf der einen Seite scheint der Begriff „Dienstleistung“ mit ca. 51.300.000 Suchergebnissen bei Google Hitpotenzial zu haben. In den Innenstädten und Malls eröffnen immer mehr Geschäfte mit Markennamen-Produkten und dem Versprechen, dem Käufer etwas Besonderes anzubieten. Der Satz, "Deutschland ist eine Dienstleistungsgesellschaft" wird von Politikern herunter gebetet wie ein Mantra. Auf der anderen Seite findet der Kunde in deutschen Geschäften nicht selten dieselbe sprichwörtliche Servicewüste vor wie eh und je.
Nehmen wir den „Schlecker“-Markt um die Ecke. Ok, das Unternehmen ist insolvent und eine Transfergesellschaft für die Mitarbeiter ist nicht zustande gekommen, weil die Bundesländer sich nicht einigen konnten. Einige meinen, das läge auch daran, dass die betroffenen Mitarbeiter weiblich sind, und hätte anders ausgesehen, wenn es um Männer gegangen wäre. Sei dem, wie es sei: Der „Schlecker“ um die Ecke ist nicht geschlossen worden. Die üblichen zwei bis drei Mitarbeiterinnen räumen eher halbherzig das Sortiment um, während sie sich lauthals quer durch den Laden unterhalten. In sechs Wochen haben sie vielleicht die Hälfte des Geschäfts umgeräumt. Komischerweise sieht alles mehr oder weniger so aus, wie vorher. Und auch die Behandlung, die einem Kunden dort zuteil wird, ist unverändert: 
Wenn man an der Kasse steht, kommt irgendwann eine Mitarbeiterin. Während sie die Waren eingibt, hat sie nur Augen für die Kasse. Wenn sie den zu zahlenden Betrag nennt, sieht sie einen nicht an. Sie nimmt mit spitzen Fingern das Geld, das man ihr hinreicht und sieht einen auch nicht an, wenn sie das Wechselgeld heraus gibt. Während sie aus dem Handgelenk den Kassenbon auf das Band wirft, sucht ihr Blick bereits wieder die Kollegin, um ihr etwas zuzubölken, noch während man dabei ist, Wechselgeld und Bon einzustecken. Zu keinem Zeitpunkt bequemt sie sich zu einem Lächeln, und das, obwohl die Anspannung, die um den 24. März herum im Laden herrschte, sichtbar von ihr und ihren Kolleginnen abgefallen ist. Vielleicht zu sehr. Denn diese Behandlung ist einer der Gründe, warum ich bei "Schlecker" höchstens zweimal im Jahr einkaufe.
Keine Frage: Der Beruf einer Verkäuferin ist schwer und gerade „Schlecker“ war nie dafür bekannt, ein besonders angenehmer Arbeitgeber zu sein. Auf der anderen Seite haben Discounter wie „Aldi“ gewisse Standards eingeführt, wie Kassenkräfte mit Käufern umzugehen haben. Dazu gehört ein wenigstens kurzer Blickkontakt, wenn der Kunde den zu zahlenden Betrag erfährt und ein zweiter, wenn er Geld, EC-Karte und/oder Bon erhält. Echte Profis schaffen sogar ein Lächeln und eine kurze Abschiedsformel. Damit sind sie schon fast wieder bei dem, was bereits die nette Frau mit der Schürze im Tante-Emma-Laden zu Omas Zeiten wusste: Dass Lächeln, Blickkontakt und Freundlichkeit im harten Dienstleistungsgeschäft zur Arbeitskleidung gehören. Auch in Deutschland.
Diese Standards werden mittlerweile (fast) wieder erwartet – zumindest von mir. Es ist ja nun wirklich nicht viel und ich will auch keine Freundschaft für's Leben schließen. Ebenso wenig erwarte ich, dass man mir zu Füßen fällt. Aber wenn ich in einem Laden schon mein Geld ausgeben soll, erwarte ich, wenigstens beim Bezahlen zur Kenntnis genommen und freundlich behandelt zu werden. Sonst gehe ich in Zukunft woanders hin. Es gibt schließlich immer einen Konkurrenzanbieter. Auch in Deutschland.