Sonntag, 17. April 2011

Enttäuschend: Helliconia von Brian Aldiss

Dabei hatte ich mir anhand der Beschreibung so viel davon versprochen. "... beschreibt eine Welt [...] mit jahrhundertelangen Jahreszeiten. Hauptthema ist der Aufstieg und Fall von Zivilisationen im Verlauf dieser Klimazeiten; es gibt Hinweise auf ein zyklisches Wiederkehren der immer gleichartigen Kulturkreise. Dieses Werk wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem da es einen neuen Maßstab in der Erfindung einer phantastischen Welt darstellt." heißt es in Wikipedia. Klingt doch spannend, oder? Aber hier lernen wir mal wieder: Was in Wikipedia steht, ist kein Maßstab.

Zunächst einmal: Das Buch legt ein eher gemütliches Tempo vor. Wer nicht gerade ein Fan von Autoren wie Adalbert Stifter ist, wird die zum Teil ausufernden Beschreibungen mehr ermüdend als spannend finden. Aber da in dem Buch "Politik, geografische, soziale, biologische und kulturelle Begebenheiten [...] bis ins kleinste Detail glaubwürdig dem Leser näher gebracht" (aus einer Rezension auf Amazon) werden sollten, hätte ich mich bis zu einem gewissen Grad damit abgefunden.

Womit ich mich nicht abfinden konnte, war die teils ans viktorianische Zeitalter, teils an die 50er Jahre erinnernde Sicht des Autors auf geschichtliche und gesellschaftliche Prozesse. 

Auf Helliconia ist die Entwicklung von Zivilisation und Kultur männlich dominiert. Männer sind auf allen Entwicklungsstufen die Haupternährer. Männer sind durchgängig die "natürlichen" Herrscher von Gemeinschaften, egal, wie dumm und selbstbezogen sie sind. Sämtliche wesentlichen Errungenschaften werden von Männern gemacht. Und wenn eine Frau mal ihre Rolle im männlichen Plan vergisst, die Suche nach Wissen höher bewertet als einen Platz an der Seite des Anführers oder gar Anstalten macht, Wissen zu Allgemeingut zu machen, taucht - Überraschung! - ein Mann mit einem Buch voller "Geheimwissen" auf, das "natürlich" alles, was Frauen wissen, in den Schatten stellt. Muss ich noch erwähnen, dass auf Helliconia wissebegierige Frauen ihr gutes Aussehen einbüßen und schließlich als "hagere Gestalten" ein einsames Leben führen?

Als wäre dieser Sexismus noch nicht genug, werden dem Leser mit den Phagor "natürliche" Feinde der menschlichen Rasse auf Helliconia präsentiert. Worauf diese Feindschaft beruht (z.B. Konkurrenz um dieselben Nahrungsressourcen?), wird nicht erklärt. Es wird lediglich beschrieben, dass die Phagor Menschen bekriegen, rauben und versklaven. Sie sind - wie die Russen im Kalten Krieg - einfach "der Feind". Sich mit ihnen und ihren Motiven auseinander zu setzen, mit ihnen zu verhandeln, einen Kompromiss zu finden etc. scheint nicht in Betracht zu kommen. Vielleicht, weil es sich um eine andere Rasse handelt?

Mein Fazit:
Schade um die an sich interessante Idee, in einem Roman den Einfluss eines Umweltfaktors (Dauer der Jahreszeit) auf die Entwicklung von Kultur und Zivilisation zu untersuchen.  Ich würde mir dafür jedoch einen Autor oder eine Autorin wünschen, der/die weniger von einem "white man's burden"-Tunnelblick geprägt ist.

3 Kommentare:

Ray Gratzner hat gesagt…

Liebe Große Vorsitzende,

ich finde Deine Kritik des Buches sehr wertvoll. Mich stört es auch, wenn in Büchern die aktuelle Gesellschaftsordnung in die Vergangenheit oder Zukunft verlängert wird. Wo bleibt da die Phantasie....

Sexismus und Rassismus prämiert? nein danke...

Liebe Grüße Rainer

Die Große Vorsitzende hat gesagt…

Hi Ray,

fairerweise muss ich sagen, dass der erste Helliconia-Roman von 1982 ist (die 50er Jahre oder das Viktorianische Zeitalter waren aber auch da schon lange zu Ende).

Aber hat sich seitdem tatsächlich so viel geändert, wie (z.B. im Zusammenhang mit der angeblichen Frauen- und Minderheitenfreundlichkeit von "Star Trek") behauptet wird? Für viele Verleger scheint Science Fiction immer noch Männersache zu sein (siehe http://www.frauenzimmer.de/cms/html/de/pub/leben-genuss/science-fiction-und-frauen.phtml). Und auch die seit "Alien" gesellschaftsfähigen "Fighting Babes" erscheinen mir eher als Männerfantasie denn als Ausdruck realer Gleichberechtigung: Frauen dürfen sich in einem männlich-hierarchisch-patriarchalischen System verheizen lassen, "solange sie nicht auf die Idee kommen, die Spielregeln zu ändern" (Georg Seeßlen, http://www.zeit.de/1998/12/kinokampf.txt.19980312.xml). Und natürlich haben sie auch hier in der Chefetage nichts mitzureden...

LG

Die Große Vorsitzende hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.