Sonntag, 13. Januar 2008

Opium fürs Volk

Die fortdauernde Kraft der Religion in der modernen Welt ist einer aufschlussreichsten Aspekte dieses Jahrhunderts. [...] Die Mitglieder des Ku-Klux-Clan in den Vereinigten Staaten stehen alle fest im christlichen Glauben. Ihr Symbol ist immerhin ein brennendes Kreuz, und sie beten, bevor sie ausziehen, um zu lynchen. Die protestantisch-katholische Spaltung in Irland, ursprünglich nach Kräften von Londen gefördert, ist für zahlreiche britische Regierungen zu einem ihrer Hauptprobleme geworden. [...]

Das Überleben der Religion aus Welten, die in ihren anderen Aspekten längst verschwunden sind, muss eine Antwort auf ein tief empfundenes psychologisches Bedürfnis sein. Die Religion muss ein Identitätsgefühl in einer Welt vermitteln, die ansonsten die Atomisierung der individuellen Existenz befördert. Für Marx war sie nicht allein "Opium des Volkes", sondern gleichermaßen "das Gemüt einer herzlosen Welt, der Geist geistloser Zustände". Sie schuf ein Gefühl der Kollektivität und Solidarität gegen eine feindlichen Welt. Derartige Gefühle sind blind. Einmal erweckt, bedeuten sie den Tod rationalen Verhaltens und Denkens.



Tariq Ali, Die Nehrus und die Gandhis. Eine indische Dynastie

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