Samstag, 5. Januar 2008

Kampf der Kulturen - die Legende

Es ist schon erstaunlich, wie manche Redewendungen kleben bleiben. Wie Kaugummi unter der Schuhsohle werden sie überall mit hin geschleppt und tauchen an den seltsamsten Stellen wieder auf. Ich bin mir nicht sicher, ob ich bei diesem Phänomen die zunehmende Verschlagwortung in unserer Art, Informationen zu verarbeiten, bedauern soll1. Oder ob ich – widerwillig - die Berechnung bewundern soll, mit der Demagogen solche Begriffe prägen und verwenden.


Gibt es einen "Kampf der Kulturen"? Wenn man der Frankfurter Allgemeinen Zeitung glauben will, dann waren im Mai 2006 „56 Prozent der Deutschen“ der Auffassung, „die Gesellschaft stehe bereits jetzt in einer solchen Auseinandersetzung“2


Aber was ist diese Aussage wert? Die in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung angegebene Zahl soll zwar aus einer Befragung durch das „Institut für Demoskopie Allensbach“ stammen. Frei verfügbare Berichte über diese Studie liegen aber nur von Journalisten vor – die mit statistischen Daten oft recht großzügig umgehen, besonders was die Interpretation betrifft. Um an die Original-Studie heran zu kommen, ohne die sinnvolle Aussagen über Erhebungsverfahren und Ergebnisse nicht möglich sind, müsste man den Allensbachern erst einmal 22 Euro zahlen3. Man merkt: Die wissen, wie man Geld macht.


Wir haben hier also eine Zahl aus einer Studie, die nicht frei eingesehen werden kann. Berichtet wird darüber auf den Internet-Seiten von Sendern und Zeitungen; also im Regelfall nicht gerade von Zahlenexperten. Eine dieser Zeitungen – die Frankfurter Allgemeine Zeitung – war zudem der Auftraggeber der Studie. Das „Institut für Demoskopie Allensbach“ hat die Befragung also nicht „nur so“, aus Forschungsinteresse, durchgeführt, sondern als Auftragnehmer der FAZ.


Selbst wenn ich bereit wäre, zu glauben, dass ein Auftragsforschungsinstitut wissenschaftliche Objektivität über das Interesse an weiteren Aufträgen stellt – sprich: es riskieren würde, einen Auftraggeber durch womöglich unliebsame Ergebnisse zu verärgern – (und das weiß ich besser), würde ich die entsprechenden Studien mit Vorsicht betrachten. Besonders, wenn der Auftraggeber darüber berichtet.


Und: Keinesfalls würde ich Zahlen als Ergebnisse des – immerhin renommierten – Forschungsinstituts präsentieren und dann auf die Internetseite eines Senders verweisen, von wo aus dann wiederum (ohne Link) auf die Studie als Quelle verwiesen wird4, liebe Wikipedia.


Aber davon einmal abgesehen: Was besagt so eine Zahl? Zunächst einmal nur, dass 56% einer im Mai 2006 befragten Gruppe von Leuten einer bestimmten Aussage zugestimmt hat. Betrachten wir das mal als Meinung. Nun sind Meinungen nicht wie die Augenfarbe. Die Augenfarbe ist ein relativ unveränderliches Merkmal. Meinungen hingegen ändern sich ständig. Wenn also im Mai 2006 56% einer Gruppe von Leuten einer Aussage zugestimmt haben, sagt das nichts über ihre Meinung im Juni, Juli oder August aus5. Bei Licht betrachtet, habe ich mit dieser Zahl also nur eine Momentaufnahme. Nicht sehr beeindruckend.


Beeindruckend ist vielmehr, wie Zahlen von Medien benutzt werden, um einen Konflikt zu konstruieren – und zwar nicht nur der „Kulturen“ im Sinne von Huntington, sondern auch einen sozialen Konflikt hier bei uns. Ist es wirklich nötig, über den Umweg von Umfrageergebnissen Überlegungen anzustellen, ob man die Religionsausübung von Muslimen in Deutschland einschränken sollte?6 Wem ist damit gedient? Das Zusammenleben verschiedener religiöser Gruppierungen ist sicherlich nicht immer konfliktfrei. Wer wüsste das besser als die Bewohner Mitteleuropas, wo während des 30jährigen Krieges ein großer Teil der Bevölkerung ausgerottet wurde. Oder die Bewohner Deutschlands, von wo aus Mitte des 20. Jahrhunderts eine religiöse Minorität beinahe ausgerottet worden wäre.


Die Frage ist, ob wir noch einmal in diese Richtung wollen.


1 Tatsächlich ist dieses Phänomen genau so neu und unbekannt wie Propaganda; man kann also darüber streiten, ob hier tatsächlich etwas zunimmt oder ob Schlagworte „nur“ etwas bereits Bestehendes ökonomischer machen.
2 FAZ
3
Allensbach
4 Wikipedia
5
Fairerweise sollte ich erwähnen, dass auch die FAZ auf derartige Variationen eingeht
6 FAZ

1 Kommentar:

Ray Gratzner hat gesagt…

Das mit den 22 Euro finde ich schon heftig, wenn man sich nur ein eigenes Bild machen möchte.

Dabei hauen die großen zeitschriften doch jetzt mitunter recht heftig auf die Blogger ein, dabei wird dann mal eben husch husch gar nicht so sorgfältig gearbeitet.

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